Es war eine kurze Nacht in Zagreb. Mit vielen Eindrücken aus einem Yoga-Retreat im kroatischen Hinterland kam ich in die Hauptstadt für eine letzte Nacht. Mein Hostel “Speeka” hatte keine Klimaanlage. Tagsüber hatte es 38°. Auch nachts wollte es nicht wirklich abkühlen. Völlig verschwitzt drehte ich mich auf meinem Bett von Seite zu Seite. Ich hatte keine zwei Stunden geschlafen, als um 5.30 Uhr mein Wecker klingelte.
Frisch geduscht freute ich mich auf eine lange Zugreise Richtung Heimat und schob meinen Koffer noch im halbdunklen zum Zagreb Kolodvor. Als ich 35 Minuten vor Abfahrt in der Einganghalle ankam, war mein Zug nicht auf der Anzeigetafel gelistet. Die Frau am Service-Schalter antwortete mir, dass mein Zug heute 40 Minuten früher los gefahren sei. Der nächste fahre erst um 12.50 Uhr.
Jetzt hatte ich zwei Möglichkeiten auf diese Tatsache zu reagieren: entweder ich verfluche den Tag oder ich mache das Beste daraus. Bei schlechtem Kaffee vom Bäcker, die Cafe’s am Bahnhof hatten noch nicht auf, entschied ich mich auf einer Bank und bei ruhigen, tiefen Atemzügen für die zweite Variante. Und es sollten noch erstaunliche Dinge an diesem Tag geschehen. Aber der Reihe nach.
Ich schob meinen Koffer wieder zurück zum Hostel und ging erst mal frühstücken wie ein König. Ich schlenderte am „Food Garden“ vorbei, jenes vegetarische Restaurant, wo ich am Abend zuvor einen wunderschönen Abend hatte. Ich fragte die junge Bedienung, die gerade die Tische auf der Straße deckte, ob es hier auch schon Frühstück gebe. Ihr sympathisches Lächeln war ein unübersehbares Zeichen. Hier ist mein Platz für die nächsten zwei Stunden!
Ich bestellte frisch gepressten Orangensaft, Cappuccino, ein Sandwich mit Lachs, Espresso Macchiato und ein nahrhaftes Omelett. Jedes Mal, wenn sie mir die nächste Köstlichkeit an meinen Tisch brachte, machte sie es mit so einer Freude, die mich ansteckte. Wir flirten, wir machen uns Komplimente und wir lachen gemeinsam.
Einmal brachte sie mir einen Espresso, obwohl ich einen Espresso Macchiato bestellt hatte. Sie kannte das Getränk nicht. Ich versuchte es ihr zu erklären. Es fehle „ca. ein Zentimeter Milchschaum on top“, so meine liebevolle Aufforderung an Judita, deren Namen ich gleich zu Beginn erfragte. Wenig später servierte sie ihren ersten Espresso Macchicato. Es müsste jetzt genau ein Zentimeter sein. Sie habe mit dem Maßband genau nachgemessen – wir lachten beide herzlich und laut.
Nach über zwei Stunden zahlte ich. Auf dem Beleg malte mir Judita ein Herz und schrieb darauf „Kikiriki“, kroatisch für Erdnuss. Eines der wenigen kroatischen Wörter, die ich gelernt hatte und ihr stolz präsentierte. Und weil ich Tags zuvor bei ihrem jungen Kollegen Josip einen traumhaften Erdnuss-Dattel-Raw-Cake genoss.
„You made my day“, sagte ich der jungen blonden Frau zum Abschluss. Und meinte das so ehrlich, wie ich es sagte. Judita wünschte mir im Gegenzug viel Glück mit meiner weiteren Reise.
Zurück am Bahnhof folgte der zweite Versuch. Der Zug fuhr pünktlich ein. Man musste drei steile Stufen erklimmen, um im alten slowenischen Zug ins Abteil zu kommen. Ich half einer Frau mit zwei kleinen Kindern ihren großen Koffer ins Abteil zu hieven und nahm neben ihnen Platz. Sie stand früh am Morgen genauso wie ich ratlos am Bahnhof. Auch für sie war es der zweite Versuch irgendwie heute noch nach Hause zu kommen.
Ich hatte mich innerlich schon damit abgefunden, dass ich heute definitiv nicht mehr in Schwäbisch Hall ankommen werde. Ich sah mich schon nach einer neun Stunden Fahrt in München gezwungener Maßen im Hotel zu übernachten. Doch es stellte sich heraus, dass Alexise, so ihr Name, in der Nähe von Aalen wohnt. Sie rief gleich ihren Mann an. Der würde sie und ihre beiden Kinder um 22 Uhr in München am Bahnhof mit dem Auto abholen. Und mich heimfahren.
Wie wahrscheinlich ist es, dass ich einer Frau am Bahnhof helfe, die ausgerechnet im Nachbarkreis wohnt? Ich meine, der Zug war lang und Deutschland ist groß. Egal: wieder ein klares Zeichen.
Gesagt, getan. Am Münchner Hauptbahnhof wartet schon der Ehemann Poly am Gleis. Das Wiedersehen mit den Kindern und Frau, die in Kroatien Urlaub gemacht haben, ist schön und herzlich.
Mein Koffer passt nach mehreren Versuchen gerade noch so in den Kofferraum. Während die Kinder langsam schlafen, fahren wir durch die Nacht im Regen. Wir unterhalten uns angeregt. Kurz vor Mitternacht sind es nach dieser Mammutreise nur noch wenige Kilometer bis zu ihrem Zuhause.
Poly biegt nicht Richtung Aalen ab, sondern fährt mich bis zu meinem eigenen Bett, was für die ganze Familie ein extra Zeitaufwand von eineinhalb Stunden bedeutet. Um 0.30 Uhr endet eine unglaubliche Reise und ein unglaublicher Tag für mich.
Drei Wochen später lade ich Alexise, Poly, Marie und Ange nach Schwäbisch Hall ein. Ich zeige ihnen Radio StHörfunk, wir gehen Eisessen und im Park spazieren. Es war ein Nachmittag, der mir viel bedeutet hat. Ich werde niemals ihre gute Tat vergessen. Denn: gute Menschen erkennen sich überall auf der Welt. Und sie müssen zusammenhalten.
Mittlerweile haben mich die vier schon wieder für einen Gegenbesuch mit afrikanischem Essen eingeladen. Was aus einem Zu(g)fall (ich glaube nicht an Zufall!) alles entstehen kann.
Denk also immer daran: wenn früh morgens alles auf Katastrophe hindeutet, atme tief durch und entscheide dich, das Beste aus dem Tag zu machen. Dass dir negative Dinge passieren, kannst du nicht beeinflussen. Nur wie du damit umgehst.
In meinem Fall hieß das: königlich frühstücken und anderen Menschen helfen, den Koffer zu tragen. Danach ist alles möglich!
