Mit meinen Eltern schaue ich mir die Ausstellung der Künstlerin Kate Kalniete im schönen Gaildorfer Rathaus an. Die Lettin war ein Jahr lang die Stadtmalerin der Schenkenstadt. Es ist so etwas wie ihre Abschlussausstellung. Ihre farbenfrohen Bilder, manchmal mit eingekratzter Schrift versehen, gefallen mir.
Ich will Kate treffen. Und zwar noch bevor sie ihr schönes temporäres Zuhause, das Gaildorfer Schloss, wieder verlässt.
An einem kalten Januarmorgen stehe ich im Innenhof. Kate kommt mit ihrer orangenen Mütze und ihren roten Backen die Treppen herunter. Sie läuft ungeduldig über die Straße bei roter Ampel. Zu warten sei ihr zu „kompliziert“. Unser Ziel: Cáfe Intermezzo.
Es ist voll, die Geräuschkulisse hoch und an den Reaktionen der Gäste, kann ich erahnen, das zumindest alle Zeitungsleser der Gaildorfer Rundschau wissen, wer diese Stadtmalerin ist.
Wir bestellen Kaffee. Am Tisch muss ich genau hinhören, um ihre sanfte und liebliche Stimme zu hören.
Für die blonde Künstlerin ist es das erste Stipendium. Es umfasst die Miete für ihre Wohnung im Schloss, indem sie sich dank der vielen Fenster wohl fühlt. Die Benutzung des Ateliers im Schloss-Keller, dessen Boden übersät mit Farbspritzern ist. Und ihr werden Materialkosten für Leinwand, Farbe und Künstlerbedarf in einer bestimmten Höhe zur Verfügung gestellt. Traditionell kauft die Stadt Gaildorf der Stipendiatin ein Werk am Ende des Jahres ab.
Kate habe sich am letzten Tag auf das Stipendium beworben. Sie hatte davon in einem Newsletter eines Leipziger Kunstvereins gelesen. Dann die Zusage. Dann Gaildorf.
Sie habe die Kleinstadt mit 12.000 Einwohnern in ihrem Künstlerjahr als Basis genutzt. Die Lettin schwärmt aus, vernetzt sich und besucht viele Städte und Ausstellungen. Auf der anderen Seite ist sie in ihrem Atelier enorm produktiv. Als Künstlerin müsse man die Zeit und Rahmenbedingungen des Stipendiums nutzen, so Kate. Ihre dort entstanden Bilder stellt sie in Gaildorf, im Hofgut Kieselberg, in Schwäbisch Hall und in Dortmund aus.
Dabei kommt es im Mai zu einem kleinen Kunstskandal:
Kate stellt im Gaildorfer Rathaus Bilder aus, die neben Gaildorf auch eine andere Kocherstadt zeigen – Schwäbisch Hall. Der Bürgermeister höchstpersönlich legt sein Veto ein. Die betreffenden Bilder müssen daraufhin wieder abgehängt werden.
Kunstfreiheit?
Für die Lettin war das ein Schock. Mitglieder der InteressensGemeinschaft KUNST Gaildorf e.V. stehen ihr in dieser Zeit bei. Was aber letztlich nichts am Ergebnis ändert.
Die Frau, deren Alter ein Mysterium ist, hat sich oft in ihrem Jahr gefragt: was bedeutet es Stadtmalerin von Gaildorf zu sein?
Anfangs dachte sie, sie müsse wohl jeden Abend ein neues Bild aus ihrem Schlossfenster heraus entrollen. Um den interessierten Menschen im Limpurger Land zu zeigen, dass und vor allem was sie als Künstlerin täglich arbeitet.
Heute weiß sie: niemand hat sich vor ihrem Schloss abends versammelt. Keinen juckts.
Von ihrer Schlossresidenz geht der Blick auf die Eisdiele „La Dolce Vita“. Im Sommer saß sie hier oft. Vor ihr ein Eisbecher mit ihren Lieblingssorten: Haselnuss & Kaffee. Auch das sollte man als Stadtmalerin machen – das Leben genießen.
Kate hat zuvor viele Jahre in Venedig gelebt. Doch nach Jahren störte sie sich an der dortigen endlosen Glorifizierung des Vergangenen in der Kunstwelt. An Deutschland schätzt sie dagegen die Offenheit und Möglichkeiten für die zeitgenössische Kunst. Nicht ohne Grund zählt deshalb Leipzig zu ihren Lieblingsstädten.
Für Kate ist ihre Stipendienreise noch nicht zu Ende. Ihre nächste Station: Stipendium in Thüringen. Schloss Dryburg. Bad Langensalza. Künstlerleben eben.
Auch hier hat die umtriebige Künstlerin bereits „Brücken“ geschlagen. So heißt dort ihre aktuelle Ausstellung, die Land-zu-Land-Verbindungen aus Venedig, Schwäbisch Hall und anderswo zeigen.
Bei unserer Begegnung begleite ich Kate zurück zur Ampel, die für sie nicht wirklich eine Bedeutung hat.
Sie will gleich noch den Malerkittel anziehen. Los legen.
Künstlerleben eben.
