Stell dir vor, du wirst zu einem Abendessen eingeladen. Drei Gänge. Mit jeweils drei dir fremden Menschen. An jeweils einem Tisch. Face to Face.
Lust oder Angst?
Als ich von diesem Erzähl Ma(h)l hörte, bekam ich unverhofft noch einen letzten Platz. Wie so oft, wurde noch eine männliche Person gesucht. Männer haben bei solchen Sachen oft mehr Angst statt Lust.
Obwohl ich schon einige Selbsterfahrungsseminare durchlebt habe, gehört das Setting eines Abendessens am Tisch, immer im Fokus des Gegenübers und umgeben von vielen Menschen, nicht zu meiner klassischen Komfortzone.
Ich war also etwas aufgeregt, als ich an diesem warmen Sommertag an der AWO-Seniorenwohnanlage Am Gänsberg ankam. Nachdem ich mir mein Namensschild auf die Brust geklebt hatte, begann die Einführung auf der Terrasse.
Die Initiatorin und Moderatorin des Abends, Carolin Hecky, begrüßte die 16 Menschen und erklärte den Ablauf. Danach moderierte die Trainerin der Angewandten Positiven Psychologie erste Gruppenspiele. Diese sorgten dafür, dass wir uns als Gruppe wahrnahmen. Und einen ersten Überblick über die vielfältigen Individuen bekamen, die sich auf dieses Experiment gerade gemeinsam einließen. Danach wurden wir per Losverfahren zu einem dieser Menschen an einen Tisch zugeteilt.
Ich nehme Platz. Vor mir eine Bewohnerin des Hauses. Der erste Gang wird serviert. Mit auf dem Tisch liegt ein Blatt Papier. Darauf stehen zwei Leitfragen für diesen Gang. Und eine Jokerfrage. Jetzt haben wir 30. Minuten Zeit für den Gang. Und die Fragen.
Die Veranstaltung steht unter dem Slogan Tiefgang statt Smalltalk. Dementsprechend geht es in allen drei Runden mit all meinen Gesprächspartnerinnen gleich zur Sache. Zur Vorspeise und Hauptgang sitze ich älteren Damen der Wohnanlage gegenüber. Zum Dessert einer jungen Frau in meinem Alter.
Über den Inhalt der Gespräche wird grundsätzlich Stillschweigen vereinbart.
Nur soviel. Wenn die Frage lautet: Wann hast Du das letzte Mal geweint und warum?, hat Smalltalk keine Chance mehr.
Gerade noch fremd, in 30. Minuten schon ganz nah: Erzähl Ma(h)l ist ein Abendessen, das verbindet.
Drei starke Frauen stehen hinter der Initiative im Rahmen des Projekts ImPuls – Zusammenwachen in Schwäbisch Hall. Neben der Projektleiterin Karin Kücük und Initiatorin Carolin Hecky, sorgt Adina Vaitus im Hintergrund für den reibungslosen Ablauf des Abends.
Adina koordiniert das Kochteam: Migrantische Frauen, die Köstlichkeiten aus dem Orient servieren. Leckereien über drei Gänge, die diese Seniorenwohnanlage wohl noch nicht probiert hat.
Ein Viertel der Plätze des Projekts Erzähl Ma(h)l werden immer den BewohnerInnen der Seniorenwohnanlage zugeteilt. Der Rest wird durch Anmeldungen aus der Haller Bürgerschaft aufgefüllt. Auf eine gute Mischung von Geschlecht, Alter, sozialer Status und Herkunft wird Wert gelegt.
Durch Begegnung entsteht Verbindung. Durch Verbindung entsteht Vertrauen. Und vice versa.
In Zeiten immer größerer Einsamkeit, sollte es ein Erzähl Ma(h)l in jeder Seniorenwohnanlage geben. Es ist eine kleine Idee. In ihrer Umsetzung mit großer Wirkung. Ich glaube daran. Von meinem kleinen Viertel. Bis in die große Welt.
Abschlussrunde: Als Begegnungsfan spreche ich meinen Dank an alle aus, die diesen Abend möglich gemacht haben. Ich fühle mich im wahrsten Sinne genährt. Durch leckeres Essen. Und noch mehr durch drei Begegnungen mit mir bis dato völlig fremden Menschen. Begegnungen mit ihren Gedanken, Geschichten und ihrem Sein.
Erzähl Ma(h)l.
