Narben bleiben. Für immer. In diesem Fall ist das gut so.
Als ich in einem Pick-Up die schönen, kargen Berge des Zingero National-Parks hochgefahren werde, ahne ich noch nicht, dass dieser Tag in Sizilien unter die Haut gehen wird.
Am Steuer: Daniele – eine Kletterlegende aus San Vito Lo Capo. Neben mir auf der Rückbank: ein Reisender aus Brasilien. Auf der Ladefläche: Drei Mountainbikes.
Je weiter wir hochfahren, umso einsamer wird es. Oben, umgeben von wunderbarer Natur und Stille, trifft man nur noch einfache Schäfer. Sie schauen unsere bunten Bikes an, als hätten sie so etwas das erste Mal gesehen.
Nachdem wir abgeladen haben, gibt uns Daniele eine kurze Einweisung. Als ich die steilen Serpentinen der Steinpiste sehe, wird mir das erste Mal wirklich klar, worauf ich mich heute eingelassen habe. Von unserem Trio habe ich bislang keinerlei Mountainbike-Erfahrung.
Mit wackeligen Knien, stürze ich mich als Letzter in die Strecke. Es ist weniger ein fahren. Vielmehr ein rutschen. Auf tausenden von Steinen. Die auch noch rutschen.
Es ist so steil, dass mein Gesäß permanent tief hinter dem Sattel schwebt. Ist der Schwerpunkt zu weit vorne, mache ich einen Purzelbaum auf Steinplatten. Gleichzeitig muss ich vorne den Lenker fest halten, präzise steuern und die Bremse kräftig durchdrücken. Ist sie zu locker, schieß ich ins Tal. Adrenalin. Angst. Freude.
Als wir die Serpentinen geschafft haben, kommt eine lange Gerade. Sie ist so steil, dass Daniele befiehlt nach der Hälfte der Distanz die Scheibenbremsen abkühlen zu lassen. „Machst du das nicht, können sie durchbrennen. Und du landest im Meer.“, sagt er mit seiner wohligen ruhigen Art.
In Macari suchen wir eine Bar auf. An diesem heißen Tag bestellen wir uns ein Bier.
Ich fühle mich großartig. Gerade habe ich als Rookie den Berg bezwungen. Ja, es fühlte sich wie ein Kampf an. Für mich war es ein Ride on the edge. In ständiger Erwartung zu flippen. Zu crashen. Zu verkrampfen. Heil bin ich unten angekommen.
Ich trommel mir innerlich auf die Brust.
Voller Restadrenalin und beflügelt durch das kühle Bier, ging es auf flacher Strecke zurück nach San Vito. Wie den gesamten Tag über, waren meine Mountainbike-Kollegen schneller. Und irgendwo vor mir.
Ich sehe bei gutem Tempo eine Steinplatte. Mein gestreicheltes Ego sendet mir: Pille Palle. Von der kannst du etwas abspringen!
Autsch.
Leicht benommen finde ich mich auf der warmen Steinoberfläche wieder. An seiner Kante hängt etwas Haut von mir. Unterhalb meines linken Knies hat sich dagegen der Stein verewigt. Feine Steinchen und Dreck säumen meine teils offene Wunde. Noch mehr Adrenalin.
Wieder mit wackeligen Knien steige ich auf mein Bike. Sehr langsam und demütig fahre ich zum Bike-Shop von Daniele. Wo warst du so lange?, fragen sie mich. „Ich habe im flachen Stück geflippt“, antwortet ich. Aber schon in diesem Moment, konnte ich innerlich ein bisschen über mich selbst lachen. Zaghaft, aber es ging.
Seitdem habe ich diese wunderschöne Narbe unterhalb von meinem linken Knie. Im Sommer sehe ich sie jeden Tag.
Für mich eine persönliche Erinnerung daran, demütig zu bleiben. Egal wie gut es mir geht. Oder was ich gerade erreicht habe. Wenn ich mir also einbilde, dass ich über den Dingen schwebe, holt mich die simple Steinplatte schnell auf den Boden zurück.
Eine kurze schmerzhafte Begegnung. Mit langer Wirkung.
