Meine erste Skandinavienerfahrung sollte mich nach Dänemark führen. Nach einer langen Zugfahrt fahre ich mit etwas Verspätung in Ringsted ein. August. Regen. Kalt.
Im Bahnhofsgebäude warten Liena und Fif. Mit kleinen dänischen Fahnen. Als sie mich mit Regenjacke, Mütze und Rollkoffer sehen, werden sie freudig geschwenkt. Eine schöne Begrüßung.
Eine ungewöhnliche Begrüßung, wenn ich an mein Heimatland denke.
Wir fahren mit dem Auto, dessen Heck ein Aufkleber mit der Aufschrift: „Ukraine – Capital of great people“ ziert nach Præstø. Eine Kleinstadt mit knapp 4.000 Seelen.
Vor dem Ortseingang geht es rechts weg in die Præstø Overdrev. Es ist die Einfahrt zu Fif’s kleinen (Tier)Reich. Hier lebt sie mit ihren zwei stolzen Pferden Ricky und Felix, (beide Trabrennpferde, Amerikanisches Vollblut), etlichen besonderen Hühnern (Faverolles, Orpington, Isa Warren & Gemischte), einem Windhund Becky sowie drei Katzen, die Siameser Viffer, der rote Kater Rasmus und die kleine, freche Katja. Letztere befand sich eines Tages als Kätzchen bei Fif unter der Motorhaube.
Wie kommt es, dass ich mich in dieses Reich für ein paar Tage einquartieren darf?
Liena, eine Freundin von mir aus Odessa/Ukraine, wohnt mittlerweile im gleichen Ort. Bis sie eine eigene Wohnung gefunden hat, gab ihr Fif vier Monate unter ihrem Dach Unterschlupf. Die Veganerinnen verstanden sich gut. Wenn es um ihre eigenen Hühnereier geht, macht Fif bei ihrer Nahrungsaufnahme gerne eine Ausnahme.
Jetzt bin ich also auf Vermittlung von Liena Gast bei der mir bis dato unbekannten Fif und ihren Tieren. Tagsüber gehen wir unseren Belangen nach. Ich lese viel im Bett. Genieße die Ruhe. Spaziere in den Wäldern. Fif ist immer irgendwo unterwegs. Oder macht Mittagsschlaf auf dem Sofa.
Abends ist die Küche unser Ort für Begegnung. Fif warnt mich vor: „Ich kann Ordnung machen, aber keine halten“.
Wozu gibt es Arbeitsteilung? Die Dänin steht bevorzugt am Herd, während ich den Tisch decke und mich um den Abwasch kümmere. Dazwischen sitzen wir zu Tisch und haben schöne Gespräche.
Fif hat längere Zeit in Hamburg gewohnt. Sich in der dortigen Musikszene getummelt. Ihr Deutsch ist gut und flüssig. Aktuell betreibt sie ihr kleines Sprach- und Kommunikationsbüro „Fif Beck Sprog og Kommunikation“. Zusätzlich ist sie noch Dänisch-Lehrerin auf Abruf. Wenn eine Lehrerin an einer Schule in der Region ausfällt, wird sie angerufen. Gleichzeitig unterrichtet sie immer wieder ihre Muttersprache für Geflüchtete. Auch Liena hat sie schon einige Privatstunden gegeben.
Ihre große Leidenschaft ist die Musik. In ihrem kleinen verwinkeltem Haus, sieht es im hintersten Eck fast nach einem Tonstudio aus. Sängerin Fif Beck hat schon in diversen Formationen gespielt. Immer wieder hat sie Auftritte.
Ich will wissen, warum man in Dänemark einen Gast mit Nationalflagge empfängt. „Das ist beim Geburtstag genauso“, so Fif, die nach dem Essen gerne eine Zigarette raucht. Und in der Tat. An fast jedem Haus in diesem Land, steht im Garten ein Fahnenmast mit dänischen Flagge in Wimpelform. „Das Nationalsymbol ist mit Feierlichkeit und Freude verbunden. Aber nicht weil wir Nationalisten sind. Einfach so“, analysiert Fif ihre Landsleute.
Die mittlerweile ehemalige Königin Margrethe II., hat unter einem Pseudonym die dänische Ausgabe des Romans Der Herr der Ringe illustriert, entwirft Bühnenbilder für große Theaterstücke, besucht sonntags unangekündigt Kirchen im ganzen Land und zeigte sich auch öffentlich mit einer Zigarette im Mund.
Entspannt. Unverkrampft. Locker. Irgendwas machen die Dänen anders.
Auch Fif hat mit der Monarchie kein Problem. Sie sei heutzutage ein Anachronismus. „Aber wegen dieser königlichen Familie kann ich 1000 Jahre zurück über meine Schultern gucken, und das bringt irgendwie eine Art von Kontinuität in einem fragmentierten Zeitalter und Zeitgeist“, erzählt mir die Dänin.
Fif findet das ehemalige Staatsoberhaupt überaus sympathisch. Auch ist sie stolz auf den demokratischen Weg ihres Landes, der schon 1849 mit einer Verfassung begann.
Die selbstbewusste Fif fühlt sich politisch am ehesten der grünen Partei zugehörig. Aber gleichzeitig kritisiert sie eine gewisse linke naive Politik. Auch in Dänemark seien durch Migration Parallelgesellschaften entstanden. Hier gelten andere Gesetze. Und leider auch oftmals andere Rechte für Frauen.
An unserem letzten Abend lässt es das Wetter endlich zu, dass wir uns gemeinsam vor das Haus setzen. Fif bringt einen großen Essenstopf heraus. Schmeißt Holz rein. Zündet es an.
Ihren kleinen Lautsprecher stellt sie auf den Tisch. Fif spielt mir jetzt ihre Musik via Smartphone vor. Ihre Stimme ist gewaltig. Und dominant. Eine gute Voraussetzung, wenn man sich in einer Männer-Musiker-Welt des Blues und Rock bewegt.
Aber was mich am meisten fasziniert, sind ihre “Erotiske Sange”. Erotische Lieder. Auf Dänisch.
Als das Feuer auszugehen droht, spritzt Fif mit Spiritus immer wieder beherzt nach. Und wenn sie die Möglichkeit hätte, so würde sie Putin gerne genauso beherzt persönlich in den Kopf schießen.
Die Dänin fühlt sich wohl in Præstø. Die Stadt ist klein. Es geht viel. Man kennt sich.
Dafür ist der Winter hart. Die Tage sind kurz. Die Nächte lang. Und dunkel. Fif fühlt sich dann in ihrem Reich bisweilen einsam. Ihr Rezept gegen Winterdepression: Menschen treffen.
Sie plant das pro-aktiv. Verfolgt es hartnäckig und gewissenhaft. Wie eine lebensnotwendige Aufgabe.
Ist Fif glücklich? Ja. Passt schon. Aber ein gescheiter Mann wäre nicht schlecht.
Bis dahin bleiben Ricky, Felix, Becky, Viffer, Rasmus, die freche Katja und ihre gemischten Hühner ihre besten Freunde.
