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Tik Tok

by Miro
on 5. Januar 2024
in Aktuell Deutschland

Wenn man als junger gesunder Mann 25 Jahre alt ist, denkt man in der Regel an Freiheit, Lebensfreude und Lebendigkeit. Ich hatte all das. Und doch war innerhalb weniger Tage alles anders.
Ich schlief nicht mehr. Ich konnte mich nicht mehr selbst versorgen. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich hatte zur meiner Überraschung plötzlich lebensmüde Gedanken und musste mich fern von der Terrasse halten. Diagnose: Major Depression.
Ich weiß nicht, ob man, wie in meinem Fall, zwei mal durch diese schweren tödlichen Krankheiten durchgehen muss, um den Tod besser zu verstehen. Ich weiß nur: Mit so einer Diagnose ist dir der Tod ein ständiger Begleiter. Dir wird schnell klar: Es ist ein Überlebenskampf. Mit Endgegner. Leben oder Tod.

Kleiner wichtiger Einschub: Bitte spreche über Deine Suizidgedanken und hol Dir Hilfe. Mit anderen über diese Gedanken zu sprechen, kann ein echter Gamechanger sein. Und viele Leben retten.

Ich kann behaupten, dass ich dem Tod während meiner Krankheitsphasen gefühlt wirklich nahe gekommen bin. Eine extrem prägende Erfahrung, die wohl wenige Menschen schon in ihrer Lebenszeit machen.
Dieses Mindset, dass der Tod mein ständiger Begleiter ist, hat seit meiner ersten schweren Depression auch meine gesunden Lebensphasen durchdrungen. Jeden Tag höre ich meine Lebenszeit ticken: Tik Tok.
160.000 Menschen sterben jeden Tag weltweit. Jeden neuen Tag versuche ich aufs neue dankbar zu sein, aufwachen zu dürfen. Es klingt seltsam: Für mich ist der Tod Antrieb meines Lebens geworden.

Jede Begegnung könnte die letzte sein, jede Reise, jedes Wort. In diesem Bewusstsein lebe ich. Es macht meine Lebenszeit tiefer, wertvoller und intensiver. Und mein Kalender voll.

Aber irgendwann wird es definitiv passieren. Morgen? In einem Jahr oder in 50 Jahren? Egal ob reich, arm, trainiert, untrainiert, jung oder alt: Jeder von uns muss durch dieses Nadelöhr namens Tod.
Und zwar alleine. Widerstand zwecklos.
Man sollte also besser vorbereitet sein. Nach meiner ersten Depression habe ich meinen Eltern detailliert aufgeschrieben, wie ich mir meinen Tod vorstelle. Ich will keine lebenserhaltende Maßnahmen. Ich will nicht, dass man mir Organe entnimmt. Ich will in der Mutter Erde begraben werden. Und zwar auf dem Nikolai-Friedhof in meiner Heimat Schwäbisch Hall. Alle Trauergäste sollen farbenfroh gekleidet kommen. Ich habe festgelegt, welches Lied gespielt werden soll. Und auf meinem Holzkreuz (das muss ich nochmal überdenken), soll der Satz stehen: „Ich habe gelebt“.
So ein Verhalten ist verantwortungsbewusst. Meine Eltern haben dasselbe gemacht. Im Trauerfall macht es diese schriftliche Vorsorge für alle Hinterbliebenen einfach und klar.
Mein deutscher Lieblingsrapper Cr7z rappt: „Würde ich morgen sterben, wäre ich mit den Rhymes zufrieden“. Da ich fast alle seiner 500 Songs des Künstlers kenne, kann ich behaupten: ja, kann er. Ich würde es aber gerne umdrehen:

Wenn Du morgen stirbst, wärst Du mit Deinem Leben zufrieden?

Tik Tok.

Ich muss nicht mit meiner lieben Freundin Anna zur Weltzeituhr trampen, um die Endlichkeit unserer Existenz zu verstehen. Aber es kann helfen. Immer wieder. Berlin / Deutschland / 2018. Foto: Unbekannt mit Einwegkamera.
Ich muss nicht mit meiner lieben Freundin Anna zur Weltzeituhr trampen, um die Endlichkeit unserer irdischen Existenz zu verstehen. Aber Uhren können helfen. Immer wieder. Berlin / Deutschland / 2018. Foto: Unbekannt mit Einwegkamera.

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