Umstieg in Villach. Wie immer bei Zugfahrten im Fernverkehr steuere ich gleich nach Abfahrt das Bordrestaurant an. Ich bin hungrig und bestelle mir ein alkoholfreies Bier und Eiernockerl mit Salat.
Anfangs genieße ich noch die Musik meines Ipods. Doch dann will ich die Begegnung. Gegenüber von mir sitzt Andreas. Er kommt aus Kaprun. Heute war er in Klagenfuhrt am Wörthersee für einen schönen Ausflug. Jetzt genießt er sein Bier, lacht viel und kommt immer wieder auch mit Menschen, die an anderen Tischen sitzen, ins Gespräch.
Gemeinsam sitzen wir im schicken Cityjet der ÖBB am riesigen Panoramafenster. Mit dem Blick über ein herrliches Alpenpanorama, erklärt mir Andreas viel über Zugfahren in Österreich. Warum das kleine Land dank Sissi & Co so eine gute Schieneninfrastruktur hat. Warum es im Bordrestaurant seiner Meinung nach keinen guten Wein gibt, deshalb trinkt er Bier. Und warum die Schnellzüge in der Alpenrepublik wegen der Topografie selten ihre Höchstgeschwindigkeit erreichen.
Trotzdem setzt Andreas beim Zugfahren alles auf eine Karte: Das KlimaTicket. Die Idee ist einfach wie genial. Ein Ticket für alle öffentliche Verkehrsmittel in Österreich für ein Jahr. Kosten: 1095€.
Es gibt Vergünstigungen. Für Freiwillige von Freiwilligendiensten ist es sogar kostenlos.
Immer schon habe ich von einem solchen Ticket geträumt. Nie wieder Preise vergleichen, kein aufwendiges buchen, online oder am Ticketschalter, kein Ticket ausdrucken oder Smartphone mitnehmen müssen und hoffen das der Akku hält.
Wer mein Beitrag Zeitspiel gelesen hat, weiß was das für eine enorme Zeit- und Stressersparnis für jeden einzelnen wäre. Deshalb: Einmal zahlen. Einfach einstiegen. So oft, so spontan und wann immer ich will. Was für eine Freiheit!
Das KlimaTicket, welches 2021 eingeführt wurde, ist in Österreich ein Erfolg. Über 200.000 Tickets wurden bei knapp 9 Millionen Einwohnern bisher abgesetzt, Tendenz steigend. Auch Andreas ist begeistert. Er lässt sein Auto immer öfters stehen. Nur Sitzplätze sollte man seiner Erfahrung nach bei manchen Strecken im Zug reservieren.
Aber zur Not gibt es ja immer noch das Bordrestaurant. Ein Platz toller Begegnungen und erstaunlich guter Küche. Ich bestelle mir noch ein „Weizenvollkornschrot-Sesam Weckerl mit Paprika-Paradeiser-Basilikum Aufstrich und Gurkerl“. Natürlich vegan. Alles frisch. Mega lecker.
Als das plötzlich umschlagende Wetter erste Regentropfen an die Fensterscheibe klatschen lässt, muss Andreas gleich aussteigen.
Der sympathische Österreicher lädt mich in sein Hotel nach Kaprun ein, wo er noch wenige Jahre bis zur Rente im Service arbeitet. Wir tauschen unsere Kontakte. Ein kurzer Drücker.
Beim Bergkräutertee, die mir die liebevolle Bedienung mit blauen Lidschatten bringt, werde ich langsam sentimental: Warum ist das KlimaTicket in Deutschland nicht möglich? Ein Jahresticket für jeden Zug, jede S-Bahn, jede U-Bahn, jede Zahnradbahn, jeden Bus und jedes Personenschiff in der Bundesrepublik. Wenn wir wirklich eine Verkehrswende schaffen wollen, die dieses Wort auch nur annähernd verdient, dann braucht es einfache und radikale Lösungen. Zu einem sozialverträglichen Preis. Und nicht nur die BahnCard 100, die sich nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung leisten kann.
Das KlimaTicket könnte in Zeiten gestiegener Spritpreise dagegen der Gamechanger sein. Und eine Eintrittskarte für wirkliche Begegnungen. Ich zumindest hätte viele Ideen, wo ich hinfahren und wen ich besuchen würde. Und ich bin mir sicher, Millionen andere hätten es auch.
Deutschland, setze endlich alles auf eine Karte!
